Wirklich ein Geheimtipp? Ja!
Geheimtipp, das Wort wird mittlerweile ziemlich inflationär für alles und jeden genutzt. Für das Museum in der Papiermühle in Weddersleben passt es wirklich: Geheim deshalb, weil wir seit Jahren regelmäßig im Harz unterwegs sind und sich in meinem Bücherregal diverse Harz-Reiseführer stapeln. Trotzdem haben wir nie etwas von diesem Museum gehört oder gelesen. Wegen der schlechten Wettervorhersage stöbern wir auf der Website des Harzer Tourismusverbands, bei den Kultur-Highlights für Familien (sich dort umzugucken, lohnt sich übrigens auch sonst) – und stoßen auf die Papiermühle. Das klang spannend. Um es vorwegzunehmen: Der Besuch war ein voller Erfolg, für mich und die beiden neunjährigen Jungs, die mitgekommen sind.
Einen kleinen Haken hat das Ganze allerdings: Das Papiermuseum eignet sich weder für spontane noch für Wochenend-Ausflüge. Es ist lediglich dienstags und donnerstags von 10 bis 14 Uhr geöffnet und man muss sich vorher anmelden. Betrieben wird es von der Lebenshilfe, einer Einrichtung, die Menschen mit geistiger Behinderung begleitet. Für die Schulferien aber ist es ein prima Ziel. Man wird eine Stunde durch das Museum geführt und übt sich (optional) eine weitere Stunde im Papierschöpfen.
Lumpenpapier und Wiener Schnitzel
Ach so, zu Geheimtipp gehört ja auch noch die zweite Worthälfte: Tipp. Und das ist das Museum und die anschauliche Führung von Kay Förster definitiv. Er erklärt zum Beispiel, dass Papier anfangs aus dem Stoff der Lumpensammler hergestellt wurde. Die in Stücke gerissenen Lumpen wurden 24 Stunden lang gestampft. Ein Wasserrad trieb das Stampfwerk an, daher die Bezeichnung Papiermühle. Und damit die Kinder das mit dem Stampfen auch nachvollziehen können, erklärt er es am Beispiel eines Schnitzels, das irgendwann zu Hackfleisch wird, wenn man nur lange genug drauf klopft.
Die Chinesen wussten schon früher, wie man Papier herstellt
Tatsächlich dauerte es lange, bis die Kunst der Papierherstellung nach Europa kam. In China konnte man das bereits im Jahr 105 nach Christus. In Deutschland eröffnete die erste Papiermühle in Nürnberg 1390 – mehr als tausend Jahre später. Die Papiermühle in Weddersleben im nördlichen Harzvorland gibt es seit 1549, heute wird sie nicht mehr betrieben. In dem Gebäude ist das Museum untergebracht, aber zumindest die Deckenbalken stammen noch aus der Zeit.
Die Tradition der Papierherstellung wird an gleicher Stelle, nur ein paar Meter entfernt, fortgesetzt: In der Papierwerkstatt, einem der Arbeitsbereiche der Lebenshilfe. Dazu kommen unter anderem noch eine Tierpension und ein Dorfladen. Auch Holz wird von der Lebenshilfe bearbeitet und Möbel werden restauriert.
Pergament: Schreibmaterial aus Tierhäuten
Zurück zum Museum: Bevor die Europäer Papier herstellen konnten, schrieben sie auf Pergament. Dieses Material stellten sie aufwändig aus Tierhäuten her, was sich im Mittelalter nur wenige Mächtige leisten konnten. Das fertige Pergament fühlt sich an wie Plastik und es musste mit Kreidestaub gefärbt werden, damit es nicht mehr durchsichtig war. Die Mönche in den Skriptorien der Klöster beschrieben es mit Tinte, die sie aus Eichengallen herstellten, den (verlassenden) Behausungen des Wespennachwuchses.
Fauliger Geruch – und ein schönes Ostergeschenk
In der ehemaligen Papiermühle haben wir dank Kay Förster eine Menge über die Papierherstellung erfahren. Jetzt kommt die Praxis: Mit Hilfe von Christian Lehmann, der in der Papierwerkstatt arbeitet, geht es ans Schöpfen. Zum Glück sind wir vorgewarnt: Die Zellulose dafür wird wochenlang in Wasser eingeweicht, die Mischung riecht etwas modrig und faulig. Nach einer Weile haben sich die beiden Jungs daran gewöhnt – und widmen sich ihrer Aufgabe.
Mit einem Schöpfsieb tauchen sie ihre Arme tief in den vorbereiteten und grün gefärbten Papierbrei. Nach und nach schöpfen sie daraus grüne Blätter, die sie anschließend zwischen Filztücher legen und pressen. Stolz gehen sie mit den ordentlich zwischen Pape verstauten (und gut riechenden) Blättern nach Hause – und freuen sich über das schöne Ostergeschenk.
Ein offenes, gastfreundliches Haus
Wir haben einen spannenden Vormittag in der Papiermühle verbracht, beeindruckt von Kay Försters enormen Wissen – keine der vielen Fragen blieb unbeantwortet – und dem offenen, gastfreundlichen Haus der Lebenshilfe. Auf dem Weg zur Toilette bekamen wir sogar die "echte" Papierwerkstatt zu sehen, und Kay Förster erzählte ein wenig über die Fotos an den Wänden aus dem Alltag der Bewohner. Wer mag, kann vor Ort auch Mittagessen oder einen Kaffee trinken.
Weitere Informationen:
- Papiermuseum Weddersleben, Lebenshilfe Harzkreis-Quedlinburg, Quedlinburger Straße 2, Thale/ Weddersleben, Telefon: (0 39 46) 9 81 01 30 oder (0 39 46) 9 81 00, E-Mail: papiermuseum@lebenshilfe-hz-qlb.de oder k.foerster@lebenshilfe-hz-qlb.de
- Öffnungszeiten: dienstags und donnerstags von 10 bis 14 Uhr
- Kosten: Zweistündige Museumsführung plus Papierschöpfen, Erwachsene 10 Euro, Kinder 5 Euro. Einstündige Museumsführung: Erwachsene 5 Euro, Kinder 3 Euro
- Wichtig: Eine Voranmeldung ist immer notwendig, auch zu den Öffnungszeiten und auch für reine Museumsführungen. Am besten per Mail (siehe oben)
- Tipp: Warm anziehen! Die Führung findet im Freien und in der unbeheizten Papiermühle statt
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Wer schreibt hier?
Mein Name ist Monika Herbst. Ich bin Journalistin, lebe in Braunschweig und verbringe meine Freizeit so oft es geht im Harz - mit Familienausflügen, Wanderungen, Mountainbiken und gutem Essen. Wo es im Harz am schönsten ist, könnt ihr in meinem Blog lesen. Mehr dazu:
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mano, https://manoswelt.blogspot.com/ (Samstag, 13 April 2019 22:17)
vielen dank für den sehr informativen und toll bebilderten beitrag! ich habe schon mehrfach versucht, die papiermühle zu besichtigen und immer klappte es nicht. jetzt bin ich besser informiert und werde genauer nachfragen!
liebe grüße
mano
Antje R. (Sonntag, 14 April 2019 07:05)
Tausend Dank für diesen Beitrag! Auch ich hatte bereits vergeblich versucht, die Mühle spontan zu besichtigen. Nun weiß ich, dass es sich lohnt, mal gezielt nach einem passenden Tag in meinem Kalender zu suchen (spätestens, wenn das Enkelkind groß genug ist ;) Liebe Grüße, Antje
Monika (Sonntag, 14 April 2019 13:34)
Liebe Mano, liebe Antje,
vielen Dank für eure netten Kommentare. Ja, man muss hartnäckig sein, wenn man die Papiermühle besichtigen will. Ich habe mich letztendlich über die Telefonnummer im Impressum durchgefragt ;) Wie war das: "Willst du gelten, mach dich selten" ;).
Viel Spaß euch!
Liebe Grüße,
Monika