Wer sich lebendig und zufrieden zugleich fühlen möchte, der muss die heimelige Umgebung und die eigene Komfortzone verlassen. Der muss sich etwas trauen. Das muss nicht wild und gefährlich sein, nur anders. So hat sich das Autor Tom Dauer klug überlegt - und sich vor Sonnenaufgang auf den Weg zu den Hohneklippen bei Schierke gemacht.

Neun deutsche Mittelgebirge stellen Autor Tom Dauer und Fotograf Bernd Ritschel vor, in ihrem kürzlich erschienen Band "Deutschlands romantische Mittelgebirge: Verwunschene Wälder und schroffe Hügel". Eines davon ist der Harz. Außerdem enthalten sind: Elbsandstein- und Erzgebirge, Bayerischer Wald und Fichtelgebirge, Rhön und Spessart, Pfälzer- und Schwarzwald. Nach welchen Kriterien gerade diese neun Mittelgebirge ausgewählt wurden, wird leider nicht erklärt.
Im Vorwort erfährt man stattdessen, dass Autor und Fotograf mit einem staunenden, nicht mit einem kritischen Blick losgezogen sind. Betretungsverbote, Bausünden,
Massentourismus - das alles haben sie bewusst ignoriert und sich ausschließlich auf die Suche nach dem Schönen gemacht.
Poetische Sprache und leise Fotos
Dazu passt die stellenweise sehr dichte, poetische Sprache der Texte. Und die leisen, sanften Fotos - viele im Nebel oder im diffusen Licht aufgenommen. Herbst- und Winterbilder dominieren, Laubbäume ohne Blätter und eingeschneite Fichten. Die kräftigen Farben des Sommers sucht man in diesem Buch vergeblich. Und sie hätten wahrscheinlich auch nicht gepasst, zur im Titel angekündigten Romantik.
In den Texten schimmert überwiegend eine angenehm wohlwollende Haltung durch. Zum Beispiel, wenn der Autor die Aufschriften auf den Gaststätten reflektiert, die ihm im Harz begegnen: "Futtern wie bei Muttern", oder: "Pension Dieter". Darin will er die Ehrlichkeit der Bewohner erkennen: Niemand gibt vor, etwas zu sein, was er nicht ist. Im Harz wird "Linsensuppe mit Bockwurst" verkauft und nicht "Bockwurst an Linsensuppe".
Abenteuersurrogate und erhobene Zeigefinger
Den anfangs angekündigten "staunenden, kritikfreien" Blick behält er nicht immer. So lästert er beispielsweise über die Stahlseilrutsche, die zum Kletterpark in Ilsenburg gehört: "Eines jener Abenteuersurrogate, die bevorzugt dort errichtet werden, wo man den Nachwuchs eigentlich nur in Wälder hinein- und Flussbetten hinaufschicken müsste." Da ist der Zeigefinger deutlich erhoben. Dabei haben die Kinder nicht nur Spaß im Kletterpark, sie bewegen sich auch und sie sind draußen in der Natur - während ihnen reines Wandern oft zu langweilig ist. Muss man daran Kritik üben? Mein Sohn würde jedenfalls definitiv widersprechen (siehe Ilsenburg: Kletterpark mit Suchtfaktor).
Der Autor hat seine Komfortzone verlassen - und wird dafür auf den Hohneklippen mit einem einzigartigen Naturspektakel belohnt: Er beschreibt, wie der Dampf aus dem Harzvorland aufsteigt und sich schnell auf den Brocken zuschiebt. Dann höher und höher steigt, bis er schließlich den Brocken überwindet und auf der anderen Seite Täler und Senken füllt. Ein weißer, wattiger Teppich, der von der aufgehenden Sonne betupft wird. Was bleibt? Ein wunderschönes Plädoyer für ein kleines Alltags-Abenteuer.
Winterbilder vom Brocken/ Harz
Die drei Fotos stammen aus dem Bildband: "Deutschlands romantische Mittelgebirge: Verwunschene Wälder und schroffe Gipfel."
Weiterlesen:
"Deutschlands romantische Mittelgebirge: Verwunschene Wälder und schroffe Hügel", National Geographic, September 2014, 39,99 Euro.
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